Armut und Ausgrenzung in Brasilien

Am 06. April werde ich gemeinsam mit EDP, und u.a. mit Mitgliedern der Weltkirche, sowie mit Mitgliedern des deutschen Bundestages nach Brasilien reisen. Wir werden uns dort mit dem Thema Armut und Ausgrenzung speziell in Salvador da Bahia beschäftigen. Die ersten Tage werde ich bei einer Gastfamilie in Caplinha de Sao Caetano verbringen, um dort einen Einblick in deren Leben zu erhalten. Nach der anschließenden Reflexion, werden wir gemeinsam (auch mit der brasilianischen Kirche und Politik) die Erfahrungen aufarbeiten.

Schwester Lucia und Ihr Behindertenheim

14. Apr 08 14:04
Gestern Mittag sind Herr Weihbischof Leo Schwarz und ich in die Favellas von Salvador da Bahia gefahren, um dort einige Tage Armut und Ausgrenzung hautnah zu erleben. Wir sind bei einer Familie mit zehn behinderten Kindern untergebracht. Kein leichtes unterfangen fur Lucia all das hier zu organisieren. Lucia ist das „Oberhaupt“ dieser Familie. Sie hat sehr warme, haselnussbraune Augen und strahlt eine unglaubliche Ruhe, aber auch eine Form von naturlicher Autoritat aus. Lucia lebt mit ihren 10 Kindern und drei Betreuerinnen mitten in den Favellas. Fast unvorstellbar, an einem Ort, an dem Drogen, Gewalt und Mord an der Tagesordnung stehen, sich auch noch um behinderte Kinder zu kummern. Ich bin sehr beeindruckt von Lucia und diesem Leben, welches sehr wohl auch seine Annehmlichkeiten bietet. Das Kinderheim ist namlich, was Komfort und Sicherheit betrifft, in den Favelas, die grosse Ausnahme. Es ist naturlich auch behindertengercht ausgestattet. Fast unglaublich ist, das hundert Prozent des Unterhalts fur Kost und Erhaltung des Hauses von Spendenden und sogenannten „Beschutzermitgliedern“ finanziert wird.

Die Favelas selbst, machen auf mich nicht den Eindruck von Gewalt, sondern eher den Eindruck von Gemeinsamkeit, Lust und Freude am Leben. Es spielt sich sehr viel auf der Strasse ab, die Judendlichen horen Musik und unterhalten sich, wie das eben Jugendliche so tun. Hier ein Flirt, da ein Gesprach, dort ein frohliches Lachen. Ahnlich wie in den Slums von Indien (zugegeben schwer vergleichbar), kommen mir die Leute hier nicht unglucklich vor. Nein, Sie haben sich irgendwie mit Ihrem Leben arangiert. Lutz, unser Ubersetzer hat mir aber erzahlt, das diese Ruhe trugerisch sein kann. Urplotzlich konnen Banditen auftauchen, welche brutalst durch die Strassen ziehen und alles rauben, was sie gebrauchen konnen. Sollte uns das passieren, so hat uns Lutz geraten, sich nicht zu wehren, sondern ohne Widerstand den Forderungen nachzugeben, andernfalls konne er keine Garantie fur unser Leben geben. In Salvador gibt es taglich 6 Morde (am Wochenede bis zu 30) und eine nicht bekannte Anzahl von Entfuhrungen mit anschliessenden Losegeldforgerungen. So, jetzt geht es wieder auf Erkundstour durch die Favelas von Salvador ad Bahia. Bis morgen.

Lucia (26) Novizin im Behindertenheim in Salvadar da Bahia

15. Apr 08 15:42
Armut ist das, was wir leben, aber es gibt keine grossere Armut, als verstossen (ausgegrenzt) zu werden.

Erster Einblick in die Favelas

16. Apr 08 14:35
Ein ausfuhrlicher Spaziergang durch die Favelas, samt unterschiedlichsten Besuchen, gaben mir einen relativ guten Einblick in das Leben der „Ausgegrenzten“. Die Favelas sind wie ein kleiner Mikrokosmos, so etwas wie eine Stadt in der Stadt. Da sich weder Polik noch Kirche um die Anliegen der Bewohner kummern, haben die Bewohner ihr Schicksal in die Hand genommen und sich selbst organisiert. Es gibt eine Menge an gesellschaftlichen und kirchlichen Zusammenschlussen, in denen Probleme besprochen und Massnahmen entwickelt werden. Zum Beispiel werden sportliche Aktivitaten angeboten, oder eine Bibliothek eingerichtet, um Kinder und Jugendliche von der Strasse und den Drogen wegzuhalten.

Die Gemeinschaft trifft sich zu Tanzabenden, bei denen Ihnen der Samba hilft, Ihre Sorgen zu vergessen. Auch NGOs geben keine Unterstützung, da sie, um zu unterstützen, ein ausgearbeitetes Explorat der Probleme haben mochten. Aber wie soll das den Bewohnern möglich sein, ohne das entsprechende Wissen darüber, wie man so ein Exlporat erstellt. Das sehen selbst Profis als grosse

Im Rhythmus des Samba

16. Apr 08 14:56
Gestern gab es ein grosses Fest. Schwester Lucia hat zu unseren Ehren die Nachbarschaft eingeladen. Wir haben gemeinsam gegessen, getrunken, und tanzten im Rhythmus des Sambas. Ich habe diese Freude am Tanz und der Bewegung bisher nur aus dem Fernsehen erlebt. So haut nah entstand in mir eine innere Freude und Lust, dass es nicht lange dauerte und ich war inmitten all der Anderen. Die Bewegungen wurden leicht und ich bekam den Eindruck im Gleichklang mit den Anderen zu sein.
Am Ende des Festes, standen wir alle noch im Kreis zusammen und sangen brasilianische Lieder. Ich empfand ein Gefuhl aus Traurigkeit und Freude. Menschen die in Armut und Ausgrenzung leben, zeigten mir, wie schon das Leben auch unter diesen Umstanden sein kann.

Die Frage nach dem wieso? weshalb? warum? erübrigt sich

16. Apr 08 15:09
In Salvador gibt es 350.000 Behinderte, um die sich offiziell niemand kümmert. In den Schulen ist der Eingang zur Direktion – wie ein Gefängnis – vergittert, nicht damit keiner herauskommt, sondern damit niemand hineinkommt.

Die Diözese von Salvador hat einen Plan gegen Armut und Ausgrenzung, zeigt aber kein Interesse diesen Plan auch umzusetzen. Jeden Freitag bekommt die Polizei ihr Schutzgeld von den Drogenhandlern. Wer nicht bezahlt wird erschossen. Ein Polizist tragt immer zwei Waffen mit sich. Eine Dienstwaffe und eine nicht registrierte Waffe. Geschossen wird nur mit der nicht registrierten. Somit ist er im Zweifelsfall „frei von Schuld“.

Die zehn größten Feinde der Armen

19. Apr 08 18:04

Fehlendes Bewusstsein der eigenen Rechte.
Fehlendes Vertrauen in diejenigen, die in der gleichen sozialen Klasse sind.
Sich in den Schwierigkeiten einrichten.
Nur auf Hilfe von außen warten.
Den eigenen Kampf nicht selber aufnehmen.
Sich mit den Umständen abfinden, anstatt mit Glauben und Mut Widerstand zu leisten.
Abhängigkeit: Glauben, dass nur wer Geld hat, die Probleme lösen kann.
Nie Zeit haben, um sich zu treffen, um die eigenen Probleme zu diskutieren.
Arm sein und die Reichen nachmachen wollen.
Glauben, das Leiden sei Gott-gewollt und, dass es keinen Ausweg gebe.

Von einem Landarbeiter aus Salvador da Bahia
Veröffentlicht in „Cá e Lá“, Ausgabe Nr. 30.